Musikkarrieren sind oft kurz und intensiv – für Fehler und Veränderung ist kaum Platz. FKA twigs zeigt in ihrem neuen Musikvideo “Cellophane”, was es heißt, sich als Reaktion auf große Öffentlichkeit neu zu erfinden.

Schon bevor sie hinter dem Vorhang hervortritt, wirft sie etwas ab. FKA twigs lässt ihren schweren, schützenden Mantel zu Boden fallen. Die Sonnenbrille ebenfalls entfernt, tritt sie zwei Schritte nach vorne. Unter Applaus und Blitzlicht steht sie jetzt auf der Bühne und betrachtet ihre Betrachter*innen mit Misstrauen und mit Selbstvertrauen. In der folgenden Totalaufnahme steht in der Mitte eine Poledance-Stange, hinter der 31-jährigen ein goldener Vorhang, der das gesamte Bild ausfüllt. Unter Applaus fällt nun noch die Hose. Langsam schreitet sie zur Stange und positioniert sich an ihr. Die Musik setzt ein, das Publikum ist nicht mehr zu hören, verschwindet. “Didn’t I do it for you?”, beginnt sie zu singen. Erst am Ende der Zeile setzt eine schwermütige Klaviermelodie ein, während twigs an der Stange zu Boden gleitet und einen Tanz mit ihrer eigenen Spiegelung im Boden beginnt.

“Cellophane” ist der erste Release der britischen Künstlerin FKA twigs seit 2016. Zwischen “Good to Love” und “Cellophane” liegen eine Bühnenshow, ein Film über ihre Residency am Manchester International Festival und eine Performance für einen Apple-Werbespot (Regie Spike Jonze). Dazwischen liegen auch die operationelle Entfernung eines Tumors und eine von der Öffentlichkeit ausgeschlachtete Beziehung und Trennung von Schauspieler Robert Pattinson. “Cellophane” ist eine Verarbeitung ihrer bisherigen Karriere und eine Neuerfindung.

Die Tänzerin bewegt sich indes auf die Stange zu, schwingt um sie herum, die Kamera spiegelt ihre Bewegung und umkreist sie in die andere Richtung. Twigs schwingt sich kopfüber, hängt im Spagat schwerelos an der Stange, die Kamera dreht sich mit, steht auf dem Kopf und über twigs erstreckt sich ein surrealer Himmel, in dem ein geflügeltes, metallenes Tier kreist. Die Protagonistin klettert empor, bis sie dem Tier Angesicht zu Angesicht gegenüber steht und darin ihr eigenes Abbild erkennt.

Ein halbes Jahr hat FKA twigs, die mit acht Jahren ihre Tanzausbildung begann, für diese Poledance-Choreographie trainiert. Die Künsterlin erreichte erstmals eine breite Öffentlichkeit als sie 2012 ihre erste EP “EP1” in Eigenregie publizierte. Mit dazugehörigen Videos auf YouTube, etablierte sie ihre ganz persönlich, eklektische Ästhetik irgendwo zwischen Technoclub, Cyberpunk und subversiver Sexualität.

Mit der Veröffentlichung ihrer dritten EP “M3LL155X” (eine stilisierte Schreibweise von “Melissa”) und des dazugehörigen 16-minütigen Musikvideos im Jahr 2015 etablierte Tahliah Debrett Barnett, so ihr richtiger Name, sich vollends als Gesamtkünstlerin. Ihre Stimme, oft choral multipliziert, als würde sie einem von ganz weit weg etwas ins Ohr flüstern; die Musik geprägt von eingängigen Beats und elektronischen Glitches. Musik, Video, Choreographie war alles fest in einer Hand: der eigenen.

Mit dem Video zu “Cellophane” hat die Künstlerin die Regie zum ersten Mal abgeben. Und zwar an Andrew Thomas Huang, der mit mehreren Produktionen, darunter Musikvideos für Bjork und Sigur Ros, seine Qualifikation in Sachen “Weirdness” unter Beweis gestellt hat. Schon sein erster großer Erfolg “Doll Face”, der ein mechanisches Puppengesicht auf einem Roboter zeigt, das über Fernsehbilder langsam versucht, menschlich zu werden, ist Zeugnis, dass die beiden Kollaborateure die gleiche Sprache sprechen.

Mit folgenden Worten kündigte Barnett das Musikvideo auf Instagram an: “throughout my life I’ve practiced my way to being the best I could be, it didn’t work this time. I had to tear down every process I’d ever relied on. go deeper. rebuild. start again.” Es ist schwierig als Künstlerin zu handeln, deren Musik einerseits davon lebt, tiefe Verwundbarkeit zu zeigen und sich selbst preiszugeben, die aber andererseits die Öffentlichkeit scheut. “They’re watching / They’re watching us / They’re hating” heißt es im Text. Bösartige rassistische Kommentare, die während ihrer Beziehung mit Pattinson an sie gerichtet wurden; eine Musikindustrie, die junge, weibliche Produzentinnen immer noch nicht ernst nimmt oder ausnimmt oder beides; Krankheit. Wie geht man damit um, während gleichzeitig das prüfende Auge der Öffentlichkeit skeptisch auf einen gerichtet ist?

Mit “Cellophane” reagiert FKA twigs mit noch mehr Verwundbarkeit aber auch mit Bestimmtheit. Die Musik ist reduzierter als in früheren Arbeiten. Erst nach der Hälfte des Liedes stimmt ein Cello mit dem Klavier ein, sonstige technoide Geräusche gibt es kaum. Die alte FKA twigs ist noch da, aber nackter. “And I don’t want to have to share our love / I try but I get overwhelmed” singt sie, die Stimme ist brüchig, erinnert manchmal an ein Klagelied.

Nach ihrem Aufstieg und einem kurzen Moment im Himmel, stürzt sie hinab und fällt durch leeren, dunklen Raum. In einem seltenen Interview hat FKA twigs einmal erklärt, dass sie keine Visuals erzeugt, sondern Emotionen. Aus diesen ergibt sich dann der Rest. Und während sie da fällt, kann man ihr Zusehen beim Alleinsein, hilflos und haltlos gerät sie ins Schleudern (“Why won’t you do it for me? / When all I do is for you?”). Bis sie hustend aufschlägt in einer unheimlichen Höhle voller rotem Schlamm. In dieser bildlichen Unterwelt (Hölle?) aus dem Produktionsdesign von Fiona Crombie, die für ihre Arbeit an “The Favourite” für einen Oscar nominiert wurde, hat twigs wieder festen Boden unter ihren Füßen.

Mehrere Kreaturen, diesmal humanoid, beschmieren die Gefallene mit Schlamm, während sie von ihren Peinigern singt: “They’re watching / They’re watching us / They’re hating”. Dabei schaut sie direkt in die Kamera, zeigt der Betrachter*in erneut, wie zu Beginn, dass sie zurückschauen kann. “They’re waiting / And hoping / I’m not enough” geht es weiter, während die Künstlerin, außer Atem und zitternd, Luft holt, vermutlich für ihren nächsten Tanz.