Auf dem Klappentext klingt der neue Roman “Die Kieferninseln” der Lyrikerin Marion Poschmann sehr spannend. Leider geht es von da an abwärts.

Ein 23 Jahre junger, blonder Mann mit einer grünen Mütze, von der aus einen drei große Augen herab anschauen (ein Merch-Artikel, der die Aliens aus Toy Story abbilden soll), läuft mit seinem Kamerateam durch einen dicht bewachsenen Wald. Erschrocken, den Blick knapp an der Kamera vorbei auf etwas hinter ihr fixiert, sagt er: “Did we just find a dead person in the suicide forest? Hanging?”

Kurz nachdem der YouTube-Star Logan Paul das Video veröffentlicht hatte, in dem später auch die Leiche eines Selbstmordopfers zu sehen war, wurde es auch wieder entfernt. Eine öffentliche Entschuldigung und das Eingeständnis der Pietätlosigkeit folgten. Das war Anfang 2018 (zu dem Zeitpunkt hatte er 15 Millionen Abonnierungen). Zwar war Logan Pauls Aktion mit Sicherheit eine ganz besonders geschmacklose Leistung, ein Einzelfall ist sie mit Sicherheit nicht. Dutzende Profi- und Amateurdokumentarfilme sind über den Aokigaharawald am Fuße des Fuji in Japan zu finden. 2011 hatte das Vice-Magazin als eines der ersten dem Wald ein Video gewidmet – bis heute hat es 20,5 Millionen Views gesammelt. Und spätestens seit 2015 mit “The Forest” ein Horrorfilm veröffentlicht wurde, in dem neben Natalie Dormer auch der Wald eine Hauptrolle hat, kann man ihn als popkulturelle Chiffre für die westliche Faszination und Bereitschaft zur Exotisierung gegenüber japanischer Kultur sehen.

Wenn nun jemand ein Buch in Japan (oder überhaupt irgendeinem Land) situiert, erwarte ich mir davon mehr Auseinandersetzung mit dessen Kultur, als mir als über Japan durchschnittlich ungebildeten Menschen bekannt ist. Umso überraschender ist es, dass Marion Poschmann, die wohl einige Zeit in Japan gelebt hat, dieses Ziel verfehlt. Stattdessen ist ihr neues Buch “Die Kieferninseln” kaum mehr als ein Klischeebingo, das verschiedene Punkte nicht viel mehr als abhakt (Tee ✓,Geishas ✓, Selbstmord ✓, Samurai ✓, Samurais die aus Ehre Selbstmord begehen ✓, Haiku ✓, Reinlichkeitswahn ✓, …). Durchmischt ist das ganze mit einer teils sehr erfrischenden, teils aber unglaublich behäbigen Prosa, die ein relativ kurzes Buch unnötig in die Länge zieht.

Ein Mann mit dem Namen Gilbert Silvester begibt sich auf eine lange Reise, so weit weg wie möglich – es geht nach Japan. Wie im Traum soll es sich anfühlen, das wird einem oft genug sugerriert. In einem Traum erschließt es sich Gilbert, dass seine Frau ihn betrügt und wie in einem Traum findet die plötzliche Reise von Deutschland aus statt. In Tokyo trifft Gilbert auf einen jungen Mann namens Yosa, der im Begriff ist Selbstmord zu begehen. Gilbert kann ihn davon abhalten und gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem Ort, der ihnen beiden für den unausweichlichen Selbstmord besser geeignet scheint. Den vielen durchaus spannenden Prämissen wird im weiteren Verlauf leider nur mit Ratlosigkeit begegnet. Handlungsstränge finden kein Ende, werden einfach sich selbst überlassen. Und das auf eine äußerst unbefriedigende Art.

Teilweise findet Marion Poschmann zu einem eigenen und abwechslungsreichen Stil. Wenn sie beispielsweise Dialoge zu Listen von Schlagworten werden lässt: “Sorgen. Gemacht. Wie. Konntest. Du. Nur. Endlose Vorwürfe.” Interessante Versuche, die kontrastiert werden durch umso längere Satzgefüge, die einen schon mal in die Irre führen können. Leider verliert der Text aber zwischendurch immer wieder die eigene Stimme und wechselt scheinbar willkürlich von einer plumpen zu einer übermäßig biederen Sprache.

Dabei gilt: Eine erhabene Sprache alleine, macht einen Text nicht tiefgründig, sie erweitert nur die Fallhöhe. Das nächste, lustlos in vermeintliche Poesie verpackte Klischee, ist immer nur ein Umblättern entfernt (“schlanke und schwache Wolken”, “wolkenbehäbig”, Wolken die “anschwellen”, so viele Wolken).

Gut getroffen ist einzig die Hauptfigur. Gilbert Silvester ist Universitätsprofessor, der ein drittmittelfinanziertes Forschungsprojekt zur gesellschaftlichen Rolle des Bartes betreibt. Der Universitätsprofessor, der einen Hang zu spontanen theoretischen Ergüssen hat und mit großen Worten von seiner Ahnungslosigkeit abzulenken versucht, ist eine oftmals witzige Figur. Warum man so jemandem seine Aufmerksamkeit schenken sollte, ist aber unklar. Mit unreflektierter männlicher Arroganz sieht man sich im Alltag meist schon genug konfrontiert.

Wer sich von “Die Kieferninseln” von Marion Poschmann einen erhellenden Austausch zwischen zwei Kulturen erhofft, die allzu gerne als widersprüchlich positioniert werden, wird enttäuscht. Aber das muss nicht so sein: Suchenden sei stattdessen der Essayband “Überseezungen” der japanischen Übersetzerin Yoko Tawada ans Herz gelegt.